Bereits im 16. Jahrhundert gab es wohltemperierte Stimmungen. Sie wurden entwickelt, um durch die Vermeidung der Wolfsquinten, der zu weiten großen und der zu engen kleinen Terzen alle Tonarten spielbar zu machen. In der Regel gilt bei der Terz eine Abweichung vom reinen Intervall um das pythagoreische Komma als musikalisch tolerierbar. Bei der Quint wird für die Orgel lediglich die doppelte Abweichung zwischen dem reinen Intervall und der gleichwebenden Stimmung toleriert, bei der Cembalo gilt das halbe pythagoreische Komma als tolerabel. Werden bei einer Stimmung diese Werte bei keinem der zwölf möglichen Dur- und Moll-Dreiklänge überschritten, so gilt die Stimmung als wohltemperiert. Im Gegensatz zur verbreiteten Meinung sind bei der wohltemperierten Stimmung nicht alle Tonarten gleich schön, aber alle sind spielbar. Einige der pythagoreischen und der natürlichen Stimmungen sind gleichzeitig auch wohltemperiert.
Beim Konstruieren der wohltemperierten Stimmung kann das pythagoreische Komma in zwei Hälften (Stimmung No. 31, Kirnberger 1), drei Dritteln (No. 78, Stanhope – Schugk), vier Vierteln (No. 86, 89, Werkmeister), fünf Fünfteln (No. 93), sechs Sechsteln (No. 94, Young) usw. auf die Töne der C-Dur-Tonleiter verteilt werden. Auf je mehr Töne das pythagoreische Komma verteilt wird, umso mehr gleicht diese Stimmung der gleichschwebenden.
Eine Analyse der von Schubiger veröffentlichten wohltemperierten Stimmungen zeigt, dass bei einer gegebenen Stimmung höchstens sieben Tonarten schöner klingen können als bei der gleichschwebenden. Sind bei der wohltemperierten Stimmung nur wenige Tonarten schöner als die gleichschwebenden, dann sind sie besonders glänzend (z.B. Stimmungen No. 6 oder No 31). Je mehr Tonarten schön klingen, umso weniger glänzt ihre Schönheit (z.B. No. 40).
Die wohltemperierte Stimmung mit einer Verteilung des pythagoreischen Kommas auf wenigstens sechs Teile ist ideal für die Barock- und für die klassische Musik. Wird das Komma auf wenige Töne verteilt, kommt diese Stimmung der natürlichen nahe und kann für die Renaissancemusik verwendet werden. Einige Stimmungen dieser Stimmungsfamilie können die mitteltönige ersetzen. Mehr als ein Drittel der schubiger’schen Stimmungstabellen präsentieren wohltemperierte Stimmungen, ein weiteres Drittel sind pythagoreisch oder natürlich und wohltemperiert zugleich.
Name: Kirnberger 2
*** Intervalle = Ton / (Ton+Intervall) ***
HERTZ WM WM WM WM Abweichung zu Gleichschwebend
Ton abs Quinte Quarte gr.Terz kl.Terz WM Hertz Cent
C 262.365 0.00 0.00 0.00 -11.00 2.50 0.740 4.89
Cis 276.401 0.00 1.00 11.00 -10.00 -2.50 -0.781 -4.89
D 295.161 -5.50 0.00 0.00 -11.00 4.50 1.496 8.80
Dis 310.951 0.00 0.00 11.00 -10.00 -0.50 -0.176 -0.98
E 327.957 0.00 5.50 10.00 -0.00 -4.50 -1.671 -8.80
F 349.820 0.00 0.00 5.50 -11.00 1.50 0.592 2.93
Fis 368.951 -1.00 0.00 10.00 -5.50 -2.50 -1.043 -4.89
G 393.548 0.00 0.00 0.00 -11.00 3.50 1.552 6.84
Gis 414.602 0.00 0.00 11.00 -10.00 -1.50 -0.703 -2.93
A 440.000 -5.50 5.50 4.50 -5.50 0.00 0.000 0.00
B 466.427 0.00 0.00 11.00 -11.00 0.50 0.263 0.98
H 491.935 0.00 0.00 10.00 -0.00 -3.50 -1.948 -6.84
Stimmungstabelle, Stimmungsnummer 31
Ein Beispiel für die wohltemperierten Stimmungen zeigt Stimmungstabelle 31.
Ein weiteres Beispiel für die wohltemperierten Stimmungen zeigt Stimmungstabelle 40.
Name: Mathis 1 *** Intervalle = Ton / (Ton+Intervall) ***
HERTZ WM WM WM WM Abweichung zu Gleichschwebend
Ton abs Quinte Quarte gr.Terz kl.Terz WM Hertz Cent
C 261.330 -0.50 1.00 7.50 -10.00 -1.00 -0.295 -1.96
Cis 276.089 -0.50 2.00 9.50 -5.00 -3.50 -1.093 -6.84
D 293.499 -0.50 1.00 5.00 -8.50 -0.50 -0.166 -0.98
Dis 310.075 0.50 1.00 9.50 -7.50 -3.00 -1.052 -5.87
E 329.441 -2.00 1.50 4.50 -8.00 -0.50 -0.186 -0.98
F 348.834 -1.00 0.50 8.00 -10.00 -1.00 -0.394 -1.96
Fis 368.951 -2.00 2.00 8.00 -5.50 -2.50 -1.043 -4.89
G 391.774 -1.00 0.50 6.00 -9.00 -0.50 -0.221 -0.98
Gis 413.900 -1.00 0.50 9.00 -6.50 -3.00 -1.405 -5.87
A 440.000 -1.50 0.50 3.50 -9.00 0.00 0.000 0.00
B 465.375 -0.50 -0.50 8.00 -10.00 -1.50 -0.789 -2.93
H 493.047 -2.00 2.00 5.50 -7.00 -1.50 -0.836 -2.93
Stimmungstabelle, Stimmungsnummer 40
Die Stimmung No. 31 ist ein Beispiel für eine wohltemperierte Stimmung mit deutlichen Qualitätsunterschieden unter den Tonarten. Im Gegensatz hierzu steht die Stimmung No. 40 mit einer ausgeprägten Vergleichmäßigung der Tonarten. Es ist keine Frage, dass beispielsweise für die Pastorale von Domenico Zipoli (1688-1726) mit Largo (21 Takte Orgelpunkt C, Harmonisierungsdreiklänge C- und F-Dur), Allegro (11 Takte, C-, F- und G-Dur) und Largo (24 Takte, vorwiegend C- und G-Dur) die No. 31 von den in Tabelle 4 gezeigten Stimmungen die bessere Wahl ist. Die Stimmung No. 40 ist ideal für die Tonarten G-, D-, A-, E- und H-Dur.
|
reine Dreiklänge |
C,e,G,h |
Stimmung No. 31 |
schöner als gleichschwebend |
C,D,e,F,#f,G,A,a,h |
|
schlechter als gleichschwebend |
c,#C,#c,d,#D,#d,E,f,#F,g,#G,#g,B,b,H |
|
reine Dreiklänge |
keine |
Stimmung No. 40 |
schöner als gleichschwebend |
#c,D,#d,E, #f,G,#g,A,H,h |
|
schlechter als gleichschwebend |
C,c,#C,d,#D,F,f,#F,g,#G,a,B,b |
Tabelle 4: Vergleich der wohltemperierten Stimmungen No. 31 und No. 40.